Wenn eine Lebens­geschichte zur Kranken­geschichte wird

Fallbeispiele aus der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen

Lesefilme mit den Akten der "T4"-Opfer aus dem Bundesarchiv Berlin, Fotografin: Marion Voggenreiter

Fallbeispiele machen aus Listen von Opfernamen Schicksale. Die hier vorgestellten Fallbeispiele zeigen zum einen die große Bandbreite von sozialen Ausgrenzungs­mechanismen und Hospitalisierungs- und Selektionsverläufen, an denen zahlreiche Akteure und Instanzen beteiligt waren. Zum anderen vermitteln sie einen Eindruck von der Verschiedenheit der Einzelschicksale.

Ausgrenzung und Stigma­tisierung

So waren manche Patientinnen und Patienten in vielen Fällen über Jahre, auch über Jahrzehnte in der Erlanger Anstalt untergebracht, ehe sie der "Euthanasie" zum Opfer fielen (Max S.). Andere wurden erst kurz vor ihrer Ermordung aus anderen Anstalten nach Erlangen verlegt, um nach nur wenigen Tagen von hier aus in die Tötungsanstalten weiter transportiert zu werden. Für sie war Erlangen eine Zwischenanstalt (Anna Z.). Während viele Kranke zumindest noch partiell in familiäre Strukturen eingebunden waren und regelmäßig Besuche oder Briefe von Angehörigen erhielten (Anna Z.), brach der Kontakt zu den Familien in anderen Fällen schon früh völlig ab (Rudolf G.). Die von seinen (Rudolf G.) Ärzten vermutete "erbliche" Vorbelastung in der Familie belegt außerdem die praktische/tödliche Relevanz des gesundheitspolitischen Konstrukts der "Erblichkeit" von "Geisteskrankheiten" und sozialer "Minderwertigkeit".

Max S. und Anna Z. waren Opfer der "Aktion T4", sie wurden in einem bürokratisch geregelten Meldebogenverfahren erfasst und nach Gutachterbeschluss in den Tötungsanstalten ermordet. Wer für den Tod Rudolfs G., der bei seinem Tod nur noch 28 kg wog, wie in seiner Akte lapidar vermerkt ist, in Erlangen direkt verantwortlich war, ist kaum festzustellen. Die Verabreichung der "Hungerkost" verlief offensichtlich nach einer anstaltsspezifischen Selektionslogik; die Quellen hierzu sind lückenhaft und auch widersprüchlich. Hier besteht großer Forschungsbedarf. Die hier exemplarisch ausgewählten Krankengeschichten sind in einem wesentlichen Merkmal für alle repräsentativ: Sie spiegeln die verengte Sichtweise der Ärztinnen und Ärzte und Pflegenden auf die Patientinnen und Patienten wider und reduzieren Lebensgeschichten auf Krankengeschichten.

Fallbeispiele aus der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen

Von der Kreis-Irren-Anstalt zum Klinikum am Europakanal

In ihrer fast 200jährigen Geschichte hat sich nicht nur die bauliche Substanz der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt verändert, sondern auch das Denken über die Patientinnen und Patienten sowie der Umgang mit ihnen.

Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt