Patient Max S.


„Liegt bewegungslos im Bett“ – so lautet einer der ersten Einträge in der Krankengeschichte von Max S. Sie beginnt während des Ersten Weltkriegs, im Herbst 1915, als der damals 33-jährige Sanitätsunteroffizier in die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen eingeliefert wurde.

Der gelernte Schreiner war nach einem kurzen Frontaufenthalt auf Heimaturlaub.

Die Bemü­hungen der Familie waren vergebens

Die Ärzte diagnostizieren eine Unterform der Schizophrenie. Schon wenige Monate später, im Februar 1916, bemühte sich die Mutter vergeblich darum, ihren Sohn zumindest für eine Weile zu Hause versorgen zu dürfen. In einem Schreiben bat sie den zuständigen Generalarzt: "ich glaube sicher annehmen zu können, dass dies zu seiner rascheren Heilung viel beitragen dürfte". Im April 1917 erkundigte sich seine Schwester nach dem Grund des nun schon zwei Jahre dauernden Aufenthaltes in der Anstalt: "Sehr geehrter Herr Oberarzt. Möchte nur fragen, warum wir unseren Bruder nicht bekommen, wo er doch nicht gemeingefährlich ist".

Die Versuche der Familie blieben erfolglos, weil die Ärzte Max S. für geistig schwer krank und selbstmordgefährdet hielten. Als er schließlich doch nach Hause entlassen wurde, erholte er sich rasch. Er schmiedete Zukunftspläne und wollte arbeiten. Schon 1920 wurde Max aber erneut in die Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen, wo seine Familie ihn regelmäßig besuchte. Sie konnte kaum noch für die Verpflegungsgebühren aufkommen und bat um einen Kostenerlass, der zumindest teilweise gewährt wurde.

"Bleibt sich stets gleich"

Die nächsten Jahre verbrachte Max S. in der Anstalt. Er wurde zum Langzeitpatienten, über den es aus Anstaltssicht nur wenig zu berichten gab: "Bleibt sich stets gleich", lautete die Beobachtung in seiner Krankenakte. In den 1930er Jahren arbeitete er in der Schreinerei und galt als jemand, der oft lospolterte und dann auf Pfleger und Ärzte schimpfte: Man solle ihn in Ruhe lassen, nicht er, sondern die Ärzte seien verrückt, er werde sie auch der Polizei anzeigen. An Max S. fiel den Ärzten auf, dass eine größere intellektuelle Beeinträchtigung wohl nicht vorliege, er beobachte seine Umgebung ganz genau und galt als interessierter Zuhörer, wenn man über andere sprach.

Seinem Hang zur äußerlichen Verwahrlosung, seine Neigung zum Widerspruch und sein ausgeprägter Sammeltrieb widersprachen den Sauberkeits- und Ordnungsprinzipien der Anstalt. Entsprechend häufig wurde in den Akten über hieraus entstehende Konflikte gesprochen. Als die Station, auf der er lange Zeit untergebracht war, im Dezember 1940 aus Platzgründen aufgelöst wurde, musste Max S. die Station wechseln. Auch auf der neuen Station beobachtete er die Vorgänge um sich herum genau und erklärte sich bereit zu arbeiten. Der letzte Eintrag in seiner Akte lautet: "arbeitet regelmäßig und fleißig und brauchbar in der Korbflechterei."

Selektions­kriterien

Arbeitswilligkeit und Arbeitsfähigkeit waren zentrale Kriterien, anhand derer die Gutachter des als "Aktion T4" bezeichneten Mordprogramms über Tod oder Leben von Patientinnen und Patienten entschieden. Als sie über das Schicksal von Max entschieden, reichte ihnen seine Arbeitsleistung offensichtlich nicht aus. Sein Name findet sich auf der Transportliste vom 1. April 1941. Max S. wurde in Hartheim bei Linz in Österreich ermordet.

Max S. war einer von 908 Patientinnen und Patienten, die aus der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt im Rahmen des als "Aktion T4" bezeichneten Mordprogramms in Tötungsanstalten deportiert und dort ermordet wurden. Anders als viele Kranke, die erst kurz vor ihrer Ermordung nach Erlangen verlegt und von hier in die Tötungsanstalten abtransportiert wurden, hatte Max S. mit kurzen Unterbrechungen seit 1915 in der Anstalt gelebt.

Quelle: Alle Informationen und Zitate stammen aus der Krankenakte Max S., Bundesarchiv Berlin, Bestand R179.

Durch Fallbeispiele werden aus Opfernamen Schicksale