"...wir waren nicht darin beteiligt"

Der Prozess gegen Wilhelm Einsle und andere Ärztinnen und Ärzte der Heil- und Pflegeanstalt

Presseartikel in den Erlanger Nachrichten am 06. Juli 2020 von Marion Voggenreiter

Auszug aus einem Schreiben Wilhelm Einsles an das Bayerische Staatsministerium des Innern vom 9. Januar 1941: Anlass was das Gerücht der Schließung der Anstalt (StadtAE ohne Signatur)

In loser Folge berichtete eine Artikelserie in den Erlanger Nachrichten 2020 über neue Erkenntnisse im Forschungsprojekt.

Prozess gegen die Verantwortlichen

Nach dem Ende der NS-Herrschaft wurden nicht nur die Hauptverantwortlichen der nationalsozialistischen Medizinverbrechen im „Nürnberger Ärzteprozess“ zur Rechenschaft gezogen. Auch in Erlangen wurde gegen den ehemaligen Direktor Wilhelm Einsle und andere Ärztinnen und Ärzte der Heil- und Pflegeanstalt 1947 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und später ein Prozess in Nürnberg geführt. Dr. Wilhelm Einsle und Dr. Stephan Murar wurde ein „Verbrechen des Mordes“, wegen der Mitwirkung an der Verabreichung der „Hungerkost“, sowie das „Verbrechen der Beihilfe zu einem Verbrechen des Mordes“ wegen ihrer Beteiligung an der „Aktion T4“ zur Last gelegt. Gegen Dr. Heinrich Tschakert und Dr. Annemarie Wettley wurde ebenfalls wegen des „Verbrechens des Mordes“ ermittelt, da auch sie an der Durchführung der „B-Kost“ mitgewirkt haben sollten.

Aus Mangel an Beweisen eingestellt

Zur Klärung der Vorwürfe wurden zahlreiche Zeugen befragt, vor allem Personen, die zwischen 1939 und 1945 in der Anstalt tätig waren. Die meisten von ihnen bestritten ebenso wie die Beschuldigten die Existenz der „Hungerstationen“ nicht. Allerdings entlasteten sie die Verdächtigen und sich selbst, indem sie angaben, dass die „Hungerkost“ auf verschiedene Art und Weise sabotiert worden sei. Dadurch hätte es eigentlich keinen Unterschied zwischen der „Normalkost“ und der „B-Kost“ gegeben. Auch zwei Gutachten aus München und Erlangen kamen zu dem Schluss, dass „der Verpflegungssatz der Insassen der b-Abteilungen […] als ausreichend angesehen werden“ kann.
Aus Mangel an Beweisen wurde das Verfahren im Sommer 1949 eingestellt. 

Mitwirkung an der „Aktion T4“

In Bezug auf die Mitwirkung an der „Aktion T4“ reichten der Staatsanwaltschaft die gewonnenen Erkenntnisse aus, da der Abtransport der Patientinnen und Patienten nicht wie die Verabreichung der „B-Kost“ bestritten werden konnte. So kam es 1950 zum Prozess gegen Einsle und Murar. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie spätestens zum Zeitpunkt des dritten Transports (Ende November 1940) den Zweck der Deportationen gekannt hätten. Beide wurden deshalb wegen Beihilfe zum Totschlag angeklagt. Sie gaben zu, dass in der Anstalt Meldebögen für die Patientinnen und Patienten ausgefüllt worden waren und die Transporte stattgefunden hatten. Dr. Murar verteidigte sich mit dem Argument, dass er während des Krieges nur aushilfsweise in der Anstalt gearbeitet hätte, da er zur Wehrmacht eingezogen worden sei. Er hätte deshalb nur für die ersten drei Transporte an der Erstellung der Meldebögen mitgewirkt, aber erst nach dem dritten Transport von den Gerüchten über die Tötung der Deportierten erfahren. 

Als Soldat nur dem "Führerbefehl" gehorcht

Auch Einsle berief sich darauf erst Anfang 1941 vom Zweck der Transporte erfahren zu haben und nicht gewusst zu haben, dass alle (!) abtransportierten Patientinnen und Patienten ermordet werden würden. Er sei davon ausgegangen, dass erst nach einer erneuten ärztlichen Begutachtung ein Teil der Deportierten getötet werden würde. Außerdem plädierte er darauf, sich keines rechtswidrigen Handelns bewusst gewesen zu sein. Er hätte als Soldat dem “Führerbefehl” gehorchen müssen. Gleichzeitig gab Einsle aber an, dass er bei verschiedenen Stellen protestiert und so versucht hätte, die Tötungen zu stoppen. Das Hauptverteidigungsargument Einsles war, dass auch er während des Krieges im Lazarett tätig gewesen sei und deshalb die Leitung der Anstalt an seinen Stellvertreter Dr. Hermann Müller übergeben hätte. Damit wäre dieser für die Geschehnisse in der Anstalt verantwortlich gewesen. Inwieweit dies zutraf, konnte zum Zeitpunkt des Prozesses nicht mehr festgestellt werden: Die befragten Zeugen konnten keine Angaben dazu machen und Dr. Müller hatte unmittelbar nach Kriegsende Suizid begangen und konnte deshalb nicht mehr vernommen werden.

Freispruch für die Angeklagten

Da auch die meisten Zeugen die Beschuldigten entlasteten, endete der Prozess nach zwei Sitzungstagen am 27. Februar 1950 mit einem Freispruch für beide Angeklagten. Bereits 1948 war das posthume Spruchkammerverfahren gegen Dr. Müller eingestellt worden. Wilhelm Einsle war im August 1950 in seinem Spruchkammerverfahren in die Gruppe der „Mitläufer“ eingestuft und zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt worden. Damit war fünf Jahre nach Kriegsende die juristische Aufarbeitung der Geschehnisse in der Heil- und Pflegeanstalt zwischen 1939 und 1945 beendet. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Fehlurteilen ist nie erfolgt. Die historische Aufarbeitung des Prozesses hat im Rahmen des Forschungsprojektes gerade erst begonnen.